Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Die Fälle Bachmann und Schrödl

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Bachmann                                        Schrödl; noch heute (oder wieder) Zeuge Jehovas

Schon für die 50er Jahre, weitaus früher also als die Fälle Bachmann/Schrödl, die sich mehr zum DDR-Ende hin zutrugen. Schon für die 50er Jahre berichtet Ewald Kaven aus eigenem Erleben in seinen Erinnerungen in Buchform, anläßlich der Vernehmungen bei seiner Verhaftung im Jahre 1954:

„Dabei fragte er mich, wie oft ich Zeitschriften geholt und wo ich die Zeitschriften erhalten habe. Ich hätte sie aus Berlin, antwortete ich, und dass ich nicht genau wüsste, welche Straße es war.

Doch da half er nach. Er zeigte mir Bilder aus den Räumen in der "Kastanien Allee" vom Ostbüro, dort, wo wir alle Literatur abholten. Es musste also jemand im Ostbüro die Fotos gemacht haben, und das war gar nicht so einfach, weil nur jemand mit einem Kurierausweis in die Räume hineinkam. ...

(Dann ging) die Fragerei weiter: 'Kaven, sind Sie regelmäßig jeden Monat nach Berlin gefahren oder wie haben Sie die Zeitschriften sonst erhalten?' 'Nein, ich bin nur ab und zu gefahren, überwiegend wurde ich durch die Mitarbeiter der Staatssicherheit beliefert.'

Jetzt schien es, als würde er keine Luft mehr bekommen. Er stürmte auf mich los und schrie: 'Wie kommen Sie auf solche Beschuldigungen? Wenn Sie das nochmals sagen, so werde ich Sie mit einem neuen Delikt wegen Staatsverleumdungen vor Gericht bringen. Dort werden Sie dann Zeugen heranbringen, die Ihre Behauptung bestätigen müssen. Ich glaube nicht, das Ihnen das gelingen wird.'

Ich habe nichts mehr dazu gesagt, denn woher sollte ich die Zeugen bringen, wo ich doch hinter Gittern saß und keiner wüsste, wo ich zurzeit festgehalten wurde. Aber in der Tat belieferte mich Hans Wolschke, ein ehemaliger Bruder aus Schwerin, im Auftrag der Stasi mit Zeitschriften und Literatur. Auch nahm er die Berichte über die Tätigkeit der Versammlung mit nach Berlin, doch zuvor wurden die Berichte bei der Stasi kopiert, auch die Lieferung an Literatur wurde von ihm dort gemeldet."

Auch den von der Stasi inszenierten Einbruch in das Westberliner Büro der Zeugen Jehovas, muss man da wohl mit in die Betrachtung einbeziehen, dann sollen sich selbst solche indirekten Folgewirkungen ergeben haben wie die:

Noch bis weit in die 1990 Jahre mussten die Brüder in der obersten Etage in Selters (Schreib- und Rechtsabteilung) aus Sicherheitsgründen ihre Fenster selber putzen.  Aus Angst die Stasi könnte sie ausspionieren.“

Im seinerzeitigen DDR-Bezirk Karl Marx Stadt waren (und sind) mit die größten Konzentierungen regionaler Art, von Zeugen Jehovas im DDR-Bereich anzutreffen. Die Stasi schätzte ihre dortige Zahl auf circa 7 000 bis 8 000 ein. Besonders die sogenannte "Königreichsdienstschule" für höhere Zeugenfunktionäre war der Stasi ein Dorn im Auge. Davon berichtet auch eine Arbeit an der „Juristischen Hochschule" der Stasi aus dem Jahre 1980 des Hauptmannes Joachim Riedel von der Bezirksverwaltung Karl Marx Stadt der Stasi.

Wie üblich wurde ein Bandwurmtitel gewählt:

"Die Verallgemeinerung von Erfahrungen aus der operativen Bearbeitung von Funktionären der verbotenen Organisation 'Zeugen Jehovas' in OV, insbesondere der Durchführung von Maßnahmen der Zersetzung, Verunsicherung und Differenzierung".

Auch dort hatte die Stasi ihre IMs im Einsatz. Zwei von ihnen sollten noch einen besonderen Part spielen. Die Stasi notiert:

"Im Juli 1979 wurde der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Abteilung XX/4, durch den IMB 'Konrad' (Joachim Schrödl Ältester einer ZJ-Versammlung) bekannt, daß er durch einen Beauftragten der WTG (M. J.) in die … 'Königreichsdienstschule' eingewiesen werden soll."

Ergänzend zu den IM-Namen. In seiner genannten Arbeit für die „Juristische Hochschule" der Stasi, verändert Stasifunktionär Riedel die IM Namen. Dies aus dem Grunde, dieweil ihr Fall anderen Stasiisten als Lehr- und Veranschaulichungsbeispiel dienen soll und dazu die Kenntnis des tatsächlichen Stasi-Decknamen nicht zwingend erforderlich ist. Redet Riedel in seinem Text von einem IMB 'Konrad'; so war derjenige in den realen Stasiakten als IM 'Günther' geführt worden.

In einer drehbuchreifen Schilderung wird vermerkt, wie der Kandidat bei Dunkelheit, in einem PKW verfrachtet wurde, dessen Nummerschilder abgedeckt waren. Und wie er über diverse Nebenstraßen, die ihm die Orientierung verunmöglichen sollten, schließlich in das dafür vorgesehene Objekt gebracht wurde. Weiter wird notiert:

"In diesem Treffobjekt der WTG erhielt der IM von 'Demag' (M. J.) die zur Unterweisung der 'Königreichsdienstschule' notwendigen Lehrstücke zum Selbststudium. Bei der Übergabe wurde der IM darauf hingewiesen, diese keinem Außenstehenden zu zeigen, nicht mit seiner Ehefrau und mit anderen ihm bekannten 'Zeugen Jehovas' darüber zu sprechen. Der IM erfuhr lediglich, daß die konkrete Unterweisung 7 Wochen später stattfindet.

Beim kurzfristig realisierten Treff mit dem IMB 'Konrad'(Schrödl) übergab dieser die Lehrstücke, die sofort während des Treffs dokumentiert wurden. Es wurde während des Treffs entschieden, daß keine Maßnahmen des MfS zur Unterweisung der 'Königreichsdienstschule' eingeleitet werden, um die Sicherheit des IM zu gewährleisten, den bisher noch nicht dem MfS bekannten Ablauf dieser speziellen Unterweisung durch den IM in Erfahrung zu bringen und im Ergebnis daran Maßnahmen der Zersetzung einleiten zu können."

In seinen Ausführungen berichtet Riedel weiter, dass die Stasi in der gleichen ZJ-Versammlung noch einen weiteren wichtigen IM hätte. Den IMB "Kreutzer",(Harry Bachmann) der als Funktionär dort fest verankert sei.

Auch letzterer war offensichtlich für die Schulung durch die "Königreichsdienstschule" vorgesehen. Über "Kreutzer" (Bachmann) erfuhren die Stasiisten auch die näheren Termindetails, inklusive der für diese Schulung vorgesehenen Örtlichkeit. Nunmehr wurde seitens der Stasi beschlossen, die Schulung doch "hochgehen" zu lassen.

Riedel vermerkt:

"Mit dem IMB 'Kreutzer' (Bachmann) wurde am erwähnten Sonnabendvormittag noch ein Treff durchgeführt, und im Ergebnis dieses Treffs wurde bestätigt, daß die Unterweisung zur 'Königreichsdienstschule' zum geplanten Zeitpunkt stattfinden wird. Er wurde so instruiert, daß diese Unterweisung durch das MfS zerschlagen wird und er einer Befragung zugeführt wird. In dieser wird er sich so verhalten, wie es einem 'Zeugen Jehovas' von der Organisation auferlegt ist, und dabei hat er dem Vernehme nichts von der inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS zu berichten."

Letzteres trat ein und die sieben Schulungskandidaten, zuzüglich des Unterweisers, wurden in der Form eines faktischen "Standgerichts" überrumpelt. Sofort wurden gegen sie zu zahlende Geldstrafen in Höhe von 1000,- Mark bzw. 500,- Mark als Ordnungsstrafen verhängt.

Das auffliegen dieser Schulung hatte noch die "Nebenwirkung", dass seitens der Zeugen ihre Organisation umstrukturiert würde. Einige langjährige ZJ-Funktionäre sahen sich plötzlich ihres Postens enthoben. Pikanterweise stieg aber der "Kreuzer" (Bachmann) bei dieser Aktion auf!

Voller Stolz resümiert Riedel:

"Die Konspiration beider IM blieb vollkommen gewahrt, und gleichzeitig konnten sie ihr Vertrauensverhältnis innerhalb der Organisation festigen. Durch diese politisch-operative Maßnahme konnten konkrete Maßnahmen der Überprüfung der IBM 'Konrad' (Schrödl) und 'Kreutzer' (Bachmann) auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit vorgenommen werden, und ihr Verhältnis zum MfS festigte sich noch mehr."

Ach ja, fast hätte ich es als Berichterstatter "vergessen", noch ein wichtiges Dokument aus der Arbeit von Riedel zu zitieren. Es ist von besagtem "Kreutzer" (Bachmann) unterzeichnet und trägt die Überschrift: "Betrifft: Einstellung meiner Tätigkeit als ZJ"

"Nach 15-jähriger Tätigkeit als ZJ kam ich Mitte der 60-iger Jahre zu der Einsicht, daß dies eine Zwangsjacke war. Mein Entschluß stand fest, mich von dieser Anschauung zu trennen. Als ich Anfang 1966 von Mitarbeitern des MfS vernommen wurde und die Frage auftauchte, ob ich zu einer Zusammenarbeit bereit wäre, gab es für mich kein Zweifel dies zu tun. Da ich erkannt hatte, daß die Art der Darlegung des Inhalts der Bibel durch die Organisation der ZJ eine Demagogie ist, die versucht die Menschen hinter sich her zu ziehen. Ich habe infolgedessen alles unternommen, um dazu beizutragen diese Sache bloßzustellen. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des MfS war und ist in dieser Hinsicht sehr fruchtbringend und nützlich."

In den Büchern von H. und auch D., begegnet man dem genannten Herrn Schrödl wieder. Im H.-Buch "Zersetzung einer Religionsgemeinschaft", wird in dem Abschnitt, der dem Stasifunktionär Riedel gewidmet ist, auch der Fall zweier Stasi-IM aus den Bereich der Zeugen Jehovas im Raum Zwickau angesprochen. Einmal der Fall Joachim Schrödl (Stasiname IM Günther, geb. am 26. 01. 1930) dem Vernehmen nach, heute noch Ältester der Zeugen Jehovas in der dortigen Gemeinde Zwickau-Planitz. Dies kann nur so interpretiert werden, dass seitens der Zeugen Jehovas, ihm sein damaliger (nicht unbeträchtlicher) Sündenfall im Auftrag der Stasi, wieder vergeben wurde.

Der zweite zu nennende ist der IM Harry Bachmann (Stasiname IMB Kreutzer, geb. am 26. 4. 1926) dem Vernehmen nach, zwischenzeitlich verstorben.
Beide Genannte spielten eine Schlüsselrolle bei der Zerschlagung einer sogenannten "Königreichs-Dienstschule", in der der auch nicht unbekannte M. J. als Unterweiser im Auftrage der WTG fungierte.

Zu Bachmann schreibt H. (S. 70; Anmerkung Nr. 56):
"IMB 'Kreutzer' war der IMB 'Quermann' alias Harry Bachmann. ... Er arbeitete von März 1966 bis Ende 1989 für das MfS. Kurz nach dem Verrat der Königreichsdienstschule erhielt er am 12. 2. 1980 anlässlich des 30. Jahrestages der Bildung des MfS eine Sachprämie in Form einer Bankschleifmaschine mit allen Zusatzgeräten vom VEB Galvanotechnik Leipzig durch das MfS überreicht. In der Begründung für diese Auszeichnung heißt es:
'Der IM arbeitet seit 1966 mit dem MfS auf der Basis der pol.-ideologischen Überzeugung zusammen. Der IM ist innerhalb der verbotenen Organisation Zeugen Jehovas integriert und hat sich dort in eine Vertrauensstellung gebracht und nimmt eine einflussreiche Position ein. In der bisherigen Zusammenarbeit zeigte der IM viel Eigeninitiative und realisiert die ihm übertragenen Aufgaben. Durch seine Arbeit konnten wertvolle Informationen im Rahmen der pol.op. Bearbeitung des OV Thurm realisiert werden und gezielte Differenzierungsmaßnahmen eingeleitet werden."

Nicht so bei H. angesprochen ist indes der nicht unbedeutende Fakt, dass Bachmann einen selbständigen Handwerksbetrieb zur Ausführung von Klempnerarbeiten führte. In seinem Angestelltenstamm sind durchaus weitere Zeugen Jehovas bekannt. Namentlich bekannt ist zumindest der Fall eines, der zwei Jahre lang bei ihm beruflich tätig war.

Leute aus der alten Bundesrepublik vermögen es meines Erachtens durchaus nicht, immer richtig zu würdigen, was es bedeutete, unter DDR-Verhältnissen als selbstständiger Unternehmer, der zugleich weitere Angestellte beschäftigte, zu agieren. In der "DDR" gab es einige Verstaatlichungswellen und die Übriggebliebenen waren staatlicherseits durchaus nicht immer "wohlgelitten". Gerade bei diesen Übriggebliebenen ist in hohem Maße nachweisbar, dass sie "Rückendeckung" durch Mitgliedschaft in einer Blockpartei (Ost-CDU, LDPD, DBD, NDPD usw. suchten). Die Klientel der Blockparteien setzte sich in sehr hohem Maße gerade aus jenen Genannten zusammen. Ein selbstständiger Unternehmer, unter DDR-Bedingungen, der nicht einer solchen Blockpartei angehörte, aber doch noch weiter als Unternehmer wirken durfte, war in noch höherem Maße ein "exotischer Vogel". Schon zu DDR-Zeiten bestand der Verdacht, dass solche sich eine Art "anderweitige" Unterstützung erkauft haben, um zu überleben.

Die Frage muss auch im Nachhinein noch gestellt werden können: Was ist für Jehovas Zeugen, respektive WTG, eigentlich das "kleinere Übel"? Das einer mit politischen Blockparteien, Made in DDR kooperiert, oder wenn er glaubt dies aus "Glaubensgründen" nicht tun zu können, als "Ersatz" dafür mit der Stasi kungelt?

Zitat aus einer Korrespondenz, die dieser Replik zugrunde liegt:


"Ich kann's noch immer nicht fassen, dass Brüder meiner ehemaligen Zeugen-Jehovas Versammlung für die Stasi gearbeitet haben. Da war wohl nichts mit 'Standhaft trotz Verfolgung.' Unsereins ist in den Knast gewandert und die haben Judasgeld kassiert. Und der Schrödl ist heute immer noch angesehener Ältester in Zwickau Planitz Süd. Er hat seine Verfehlungen nicht gebeichtet oder bereut. ... Noch zu Bachmann. Ihm wurde 1991 wegen erheblichen Alkoholmißbrauchs sämtliche Dienstämter entzogen. An der Rechtskomiteeversammlung habe ich derzeit teilgenommen. Sein Amt als 'Sekretär' wurde auf seinen Wunsch mir übertragen. Letzes Jahr ist er verstorben. Seine Klempnerfirma ist inzwischen auch pleite, sein Adoptivsohn, der die Firma 1992 übernommen hatte ist heute arbeitslos."

Auf seiner (vormaligen) Webseite kommentierte Hans-Joachim Kammer den Fall zweier Zeugen Jehovas, aus seiner ehemaligen Versammlung Zwickau-Planitz-Süd, die im Zusammenhang mit der Zerschlagung einer "Königreichsdienstschule" der Zeugen Jehovas durch die Stasi, eine unrühmliche Rolle spielten. Auch in dem von Waldemar H. herausgegebenen Buch wird dieser Vorgang mit erwähnt. Hans-Joachim Kammer kennt allerdings die beiden Stasikandidaten persönlich. Verständlich, dass er darauf entsprechend sensibel reagierte. Nachstehend einige Auszüge aus seinem Kommentar (gekürzt)

"Jehovas Zeugen verhalten sich politisch neutral, und das in jedem Land der Erde
Jehovas Zeugen respektieren die Regierung des Landes, in dem sie leben. Sie beachten die Gesetze und kommen ihren biblischen Verpflichtungen als Bürger gewissenhaft nach. Damit gehorchen sie den Worten der Bibel: "Jede Seele sei den obrigkeitlichen Gewalten untertan" (Römer 13:1).....Und wie segensreich sich die neutrale Haltung der Zeugen Jehovas doch erwiesen hat! Im Dritten Reich verhielten sie sich neutral; ebenso während der Zeit, als ihr Werk in der Deutschen Demokratischen Republik verboten war. "
Aus "Jehovas Zeugen Menschen aus der Nachbarschaft, wer sind sie? Seite 16 ff

Diese Aussage aus der Wachtturmpublikation von 1996 ist so nicht ganz richtig. Eines stimmt. Seit dem Verbot der Tätigkeit Zeugen Jehovas in Ostdeutschland am 30 August 1950 haben viele ihre Treue zur Wachtturmorganisation trotz Verfolgung bewahrt und sind ins Gefängnis gegangen. Zu denen gehörte auch der Vater meines Schwagers, Gottfried Klenke, der mit 2 weiteren Zeugen Jehovas 1950 zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde. Die CDU-Tageszeitung "Der Demokrat" hatte in ihrer Ausgabe vom 28. 11. 1950 darüber berichtet:
"Wegen Boykott- und Kriegshetze, sowie Spionage verurteilte die 2. Strafkammer des Landgerichtes Dresden am Sonnabend 22 Angeklagte der Sekte 'Zeugen Jehovas' zu hohen Zuchthausstrafen. Die Hauptangeklagten Martin Seyfert, Werner Liebig und Gottfried Klenke, sämtlich aus Dresden, wurden zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt."


Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt und lebten getrennt von ihren Familien in Haftanstalten wie Bautzen, Brandenburg, Waldheim, Zwickau oder Torgau. Ihr Mut und ihre Standhaftigkeit bleiben unbestritten. Es gab aber auch einige Zeugen Jehovas, die mit der Stasi gemeinsame Sache machten. Zu ihnen zählten zwei Älteste meiner ehemaligen Versammlung,der Versammlung Zwickau Planitz Stasihauptmann Joachim Riedel schildert Einzelheiten....

Zu bemerken ist noch, dass die beiden IM Joachim Schrödl und Harry Bachmann weitere zehn Jahre in ihrer Gemeinde als Älteste tätig waren und bis zur Wende als willige Werkzeuge dem MfS dienten....
Noch ein Hinweis: Harry Bachmann war bis zu seinem Tode , am 04.02.1999 aktiver Zeuge Jehovas. Joachim Schrödl war auch viele Jahre nach der Wende noch Ältester in der betreffenden Versammlung. Dazu noch folgende Anmerkung.

Ich habe nach Bekanntwerden dieses Sachverhaltes den Bruder Schrödl zu einer Stellungnahme gebeten. Er schrieb mir in einem Brief folgendes:


"Lieber Hans-Joachim

Ich kann deine Empörung gut verstehen und nachvollziehen. Was nun die Stellung zu beziehen betrifft, was du wünschst hab ich in vielen Stunden bei Brd: M. J. u. vielen anderen Brüdern sowohl auch bei der Rechtsabteilung in Selters und zu guter Letzt auch vor einem ordentlichen Rechtskomitee meiner Versammlung Stellung bezogen. Am 5. 11. 99 bekam ich Gemeinschaftsentzug. So hatte mir Jehova einige Monate die Möglichkeit eingeräumt über meine Sünden nachzudenken. Ich empfinde wie David, der in Ps. 25:11 sagte:" Um deines Namens willen, o Jehova, wolltest auch du mein Vergehen vergeben, denn es ist beträchtlich"
So gab mir Römer 2:4 viel Kraft, wo gesagt wird, dass Gottes gütige Wesensart es ist, die mich dazu brächte aufrichtige Reue zu bekunden und umzukehren. (Jesaja 55:6) Ich freue mich wieder Gemeinschaft mit meinen Brüdern pflegen zu dürfen.
Ich bat alle um Vergebung und was das Wichtigste ist, bei Jehova Gott.
Leider ist mein Gesundheitszustand nicht zu gut, um Dir mehr schreiben zu können. Ich hoffe aber, das meine wenigen Zeilen doch eine Hilfe sein mögen, dein Gewissen zu beruhigen.
Ich möchte dich bitten mir auch zu vergeben und schließe mit 2.Kor. 2:6-8
Joachim Schrödl

Dazu noch ein Kommentar zur Aussage von Schrödl
Ein solches Statement hätte man sich in der Sache auch im Falle Erich Frost gewünscht.
Aber offenbar gilt auch hierbei bei den Zeugen Jehovas der Grundsatz:
Die Kleinen henkt man - die Großen lässt man laufen!

Zum Fall IM Günther gibt es noch zu berichten, dass er, der seit 1966 mit der Stasi kungelte; als Invalidenrentner die Möglichkeit zu Besuchsreisen in die alte BRD hatte. Was zu vermuten war bestötigt sich im Nachhinein. Die Stasi verpasste ihrem „Reisekader" auch entsprechende „Aufklärungsaufträge". Bei D. etwa liest man dazu, wie die Stasi bezüglich der neu aufgebauten WTG-Anlage in Selters, anfänglich noch im Dunkeln tappte. Zu den Stasi-Instruktionen für den IM „Günther" gehörte offenbar auch, hier etwas mehr Licht zu beschaffen. Das was Schrödl seinen Auftraggebern letztendlich mitzuteilen vermochte, bewegt sich meiner Einschätzung nach, im Bereich der Banalitäten. Da die Stasi offenbar aber mit sonstigen „hochkarätigeren" Informationen nicht gerade verwöhnt war, stellten zum damaligen Zeitpunkt wohl auch diese Banalitäten einen Wert für sie dar.

So reiste Schrödl etwa im August 1979 in die BRD. Seinen Auftraggebern vermochte er lediglich mitzuteilen, zu jenem Zeitpunkt seien auf dem Objekt Selters, schon drei vorhandene Gebäude im Umbau begriffen.

Zitat D.:

„Der IM, der ein angesehenes Mitglied der Zeugen Jehovas in Wilkau-Haßlau war und dort sogar das Amt eines Ältesten bekleidete, verfügte über verschiedene freundschaftliche Kontakte zu Zeugen Jehovas in der Bundesrepublik, beispielsweise in Lüdinghausen. Diese Verbindung wußte das MfS sehr zu schätzen und schickte den IM, der als Invalidenrentner unauffällig ins Ausland reisen konnte, fast jedes Jahr ins Operationsgebiet, um dort seine arglosen Verbindungen abzuschöpfen. Am 4. August 1980 erhielt der IM "Günther" beispielsweise schriftlich folgenden Auftrag:

"Auf Grund der Tatsache daß [.. .] im Rahmen der Organisation das  Dienstamt V(ersammlungs)A(ufsher) inne hat, bitten Sie diesen, ob nicht die Möglichkeit besteht, das Bethel in Wiesbaden zu besuchen. Bei Besuch dieses Bethel haben Sie zu versuchen, mit einem profilierten Funktionär in Verbindung zu kommen. [...] Im Ort Selters/ Taunus wird gegenwärtig die zukünftige Europazentrale der Organisation ,Zeugen Jehovas' gebaut. Sie haben zu versuchen, der Baustelle einen Besuch abzustatten. Dabei ist von operativem Interesse: Zu Selters/Taunus und Umgebung: Anschauungsmaterial: Ansichtskarten, Postkarten [...] evtl. l Flasche Ur-Selterswasser [...] Territoriale politische und soziale Struktur [...] wirtschaftliche Struktur [...] öffentliche Einrichtungen, Behörden [...] Personenbewegungen [...] Baustellen in Selters und Umgebung [...] Zweigbüro (Europazentrale) -bekannt gewordenen Mitarbeiter und deren Verbindungen [...] Besuchs- und Besichtigungsmöglichkeiten des Bauplatzes [...] Wie sind die konkreten Bedingungen für DDR-Bürger für Besichtigung und evtl. zeitweilige Mitwirkung am Bau? [...] Verbindungen von DDR-Bürgern nach Selters [...] ,ZJ'-Versammlung Selters/Taunus."

Kleinvieh macht auch Mist, war offenbar die diesbezügliche Stasidevise.

Weiter D.:

„Darüber hinaus sollte der IM herausfinden, wie Jehovas Zeugen über "den Olympiaboykott der USA- und BRD-Regierung zu den Spielen der XXII. Olympiade in Moskau" denken, und "die verstärkten Aufrüstungsbestrebungen des USA- und BRD-Imperialismus" beurteilen."

Als banales Ergebnis wusste Schrödl mitzuteilen:

"Dieser Ort liegt unmittelbar an der Autobahn und ist in seinen Ausmaßen ca. 500 mal 500m groß. Ich schätze, daß dort ca. 2500-3000 Familien wohnen. Im Ort selbst konnte ich nur die Seltersfabrik feststellen. Diese scheint die einzigegrößere Produktionsstätte im Ort selbst zu sein. Das zukünftige Europazentrum der ZJ schließt sich südwestlich am Ort Selters an. [...] Die Druckmaschinen dafür werden von der amerikanischen Firma IBM gebaut und geliefert. Die zu liefernden Computerdruckmaschinen drucken gleichzeitig in 8 verschiedenen Sprachen und zweifarbig. In Japan wird zur gleichen Zeit die ZJ- Zentrale für Asien gebaut. [...] Ich selbst konnte auf der Autobahn noch keine Hinweisschilder über das Europazentrum erkennen."

Weiter liest man bei D.:

„Der IM "Günther" hatte dann im Juli 1983 erneut Gelegenheit, die Bundesrepublik zu besuchen. Wie im Vorjahr weilte er auch diesmal in Kiel bei einem Zeugen Jehovas, der auch aus der DDR stammte. Dieser nahm ihn nichtsahnend auf einen großen Kongreß nach Neumünster mit, wo der IM auftragsgemäß weitere Details über den Fortschritt der Bauarbeiten in Selters erkundete:

Und, was hat er nun erkundet? Offenbar dies:

"Im Herbst 83 soll der Umzug generell nach Selters durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um 380 MA von Wiesbaden. 2 Häuser, die Nr. 4 und 5 sind fertig und bewohnbar, l großer Kön greichssaal mit darunterliegendem Tonstudio wurde ebenfalls fertiggestellt. Fertiggestellt wurde ein große Fotodruckpresse, die 88000 Fotos in der Stunde fertigstellt, (bunt) In Betrieb genommen wurde eine Automatenzählanlage, die die .Wachttürme' zu je 50 Stk. bündelt. Sie brauche nur verladen zu werden. [...] Gebaut werden in Selters jetzt 40 MEPS."

Offenbar gab, oder musste sich die Stasi weiterhin mit „kleinen Bötchen" zufrieden geben. Ersichtlich auch an der Aussage:
"Einen ersten Augenzeugenbericht erhielt das MfS nach einer Reise des IM "Günther" nach Selters im Juni/Juli 1984. Die B V Karl-Marx-Stadt hatte ihm dazu am 6. Juni 1984 folgenden Auftrag gegeben:

"Prägen Sie sich alle Aufgaben über Selters, die Sie erhalten, ein und achten Sie auf folgende Schwerpunkte: - wie wird das Objekt abgesichert? - haben Sie alle Abteilungen besichtigen können, oder wurden welche geheimgehalten? - befinden sich viele Besucher auf dem Gelände? - kaufen Sie Ansichtskarten und Literatur zum Objekt in Selters, die dort erhältlich ist [...] Berichten Sie über die erfolgte Betreuung, wo befindet sich die medizinische Einrichtung im Objekt? Während des Aufenthaltes auf dem Gelände des Objektes achten Sie auf dort abgestellte Fahrzeuge. Befinden sich darunter Fahrzeuge der USA-Armee bzw. anderer NATO-Länder?'"

Zur Auftragserfüllung wird in den Stasiakten berichtet:

„Der IM "Günther" kam dieser Aufgaben wieder durch einen Besuch in Kiel nach. Der dortige Zeuge Jehovas vermittelte dem IM immer noch nichts ahnend die gewünschte Besuchsmöglichkeit. Im Anschluß an diese Reise berichtete der IM:

"Ich war überrascht, wie das vorsich geht [sie!], da waren vielleicht 2000-2500 Besucher, das war jeden Tag so außer sonnabends, da ist ja keine Besucherzeit. Da ist auch keine Gelegenheit mit einem Bruder vom Bethel ins Gespräch zu kommen. Da weiß man gar nicht, wo man beginnen soll. Ich bekam einen Führungsplan. Das ist alles. [...] Dann kommt man zum Foyer, und da ist der gesamte Dienstleistungsbereich untergebracht. [...] Besonders großen Wert wurde auf den Umweltschutz gelegt, da das Bethel im Naturschutzpark errichte wurde. Dahinter befindet sich die Druckerei, wo der Versand ist, dort können die Lastwagen gleich ranfahren. [...] Die Führung wurde durch einen Bruder des Bethels durchgeführt, der mir aber nicht namentlich bekannt ist. Ich besuchte dann die Druckerei, das Papierlager, den Dreischneider, die Buchbinderei und die Wäscherei. Es zeigte sich, daß alles sehr prunkvoll gebaut wurde. Unter anderem wurde z.B. italienischer Marmor durch Vermittlung v. Brüdern aus Italien rangeschafft. [...] Die Fensterrahmen wurden aus wartungsfreiem afrikanischem Holz geschaffen. [...] Der gesamte Bau ist sehr prunkvoll. Zur Verkleidung der Fassaden wurden 1,9 Mio Klinker verarbeitet, die aus der DDR stammen sollen. [...] Ich kam mir danach wie ein kleines Licht vor."

Zu der letzten Ausssage vom „kleinen Licht" mag man nur noch hinzufügen. Das war er wohl. In doppelter Hinsicht!

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